"They're bloody amazing" (John Ingham)
1971 gründen vier Musiker eine Band namens KRAAN und 1972 nehmen sie Ihre
erste LP auf. So oder ähnlich beginnt wohl die Lifeline einer jeden Gruppe.
Aber was in diesem Fall nun kommt, ist ein Exempel dafür, wie eine deutsche
Rockgruppe ohne großen PR-Rummel, ohne hype and Publicitymätzchen,
dafür aber mit mehr als 500 Livekonzerten und harter Arbeit zu dem werden
kann, was KRAAN heute eben ist.
Zurück also ins Jahr 1971. Im Berliner arts-lab Media-Centrum, eine der
damaligen großen Hoffnungen, die verschiedenen Kunstmedien zu verschmelzen,
gründen vier junge Ulmer Musiker eine Gruppe, die sie KRAAN nennen. Die
konsequente Abkehr vom free jazz läßt sie eine Musik entwickeln,
deren Hauptcharakteristika mit körperlicher Motorik des Rock, Melodieführung
orientalischer Folklore and Improvisationstechniik des Jazz am ehesten zu beschreiben
sind.Eine Vorwegnahme dessen also, was heute, sechs Jahre später, in Ermangelung
besserer Termini Fusionsmusik genannt wird.
Das Media-Centrum stirbt (leider) eines langsamen Todes and Peter Wolbrandt
(Gitarre + Vocals), Alto Pappert (Altsax + Sopranino), Hellmut Hattler (Bass
+ Vocals) und Jan Fride (Schlagzeug + Percussions) verlassen Berlin, um im Teuteburger
Wald die Möglichkeit kreativer Arbeit zu finden, die ihnen Berlin nicht
mehr bietet.
Das Weidegut Wintrup, mietfrei zur Verfügung gestellt von Graf Metternich,
wird nun Ausgangspankt einer Entwicklung, die bis heute noch nicht beendet ist.
Wintrup ermöglicht KRAAN aber auch die Grundvoraussetzungen, ohne die ihre
Musik nicht wäre, was sie ist.
Gemeinsames Leben in der Gruppe, über das musikalische Arbeiten hinaus
Anteilnehmen an der Entwicklung der anderen, aber auch - ebenso wichtig - eigenständige
persönliche und musikalische Entwicklung des Einzelnen.
Im Mai 1972 nehmen sie ihr Debut-Album "KRAAN" auf und der Kritiker
der "Sounds" hat wohl die richtige Nase gehabt, als er in seiner Rezension
behauptet, KRAAN werde man bald in einem Atemzug nennen mit den Topgruppen Amon
Düül and Can. Tatsächlich erweisen sich die beiden Schwerpunkttitel
dieser Produktion, "Kraan Arabia" and "Sarahs Ritt durch den
Schwarzwald", als ausgesprochene Publikumslieblinge and sind heute zu Klassikern
der KRAAN-Musik geworden. Ebenfalls 1972 betreten sie bei ihrer ersten Herbst-Tournee
englischen Boden und ihr Auftritt beim "Great Windsor Park Festival"
legt den Grundstein zu ihrer Auslandskarriere. Im Anschluß spielen sie
ihr zweites Album ein, fast, so möchte man sagen, wie selbstverständlich
"Wintrup" betitelt. "Wintrup" erscheint im Frühjahr
'73 und zeigt den Weg auf , den KRAAN zukünftig in ihrer Studioarbeit gehen
werden. Die ausladenden , jazzverhafteten Improvisationen des Vorgänger-Albums
werden nun zu integrierten Höhepunkten einer Musik, die stärker von
Songstrukturen and Vokalteilen geprägt ist.
1973 wird für KRAAN das Jahr der Festivals. Nach KRAANs Auftritt beim repräsentativen
Deutschrock-Festival des RIAS in Berlin beschreibt Barry Graves in der Berliner
Presse, warum die Gruppe als eine der "stärksten Live-Bands Europas"
gilt. Graves, naturalisierter Amerikaner, Autor des Rocklexikons and Redakteur
beim RIAS, empfindet einen KRAAN-Auftritt so: "Alsdann kam KRAAN and degradierte
alle Mitspielenden zum Vor- and Nachprogramm. Ihnen gehörte der Abend,
denn sie hatten alles: eine aufregende Versiertheit an ihren Instrumenten, ein
enormes Feeling für Arrangements, Improvisationsübergänge, Effekt-
Timing, eine Ensemble-Dichte, die einen beinahe fassungslos ließ, und
vor allem eine allge-
mein sympathische Bühnenpräsenz."
Pünktlich zur Herbst-Tournee '74 ist das dritte Album auf dem Markt: "Andy
Nogger". Vom Musik-Express zur LP des Jahres gekürt, wird "Andy
Nogger" im folgenden dann auch der gelungene Einstand auf der internationalen
Szene. Zunächst aber, wir schreiben immer noch 1974, verwirklichen KRAAN
ein Projekt, das für sie schon seit längerem beschlossene Sache war,
mittlerweile aber auch ein vehementer Wunsch der KRAAN-Gemeinde ist. Während
der Herbst-Tournee nehmen sie im Berliner "Quartier Latin" ein Live-Doppelalbum
auf, das selbst die kühlsten Kritiker aus der Reserve lockt and das auch
bei der späteren Veröffentlichung in England die britischen Fachleute
in Lobeshymnen ausbrechen läßt. David Brown
vom Record Mirror: "Wäre nicht das gelegentliche Rückkoppeln,
man könnte keinen Unterschied zu einer Studioproduktion hören. Zu
inspirierten Soli mit vielfältigen Talenten bringen sie einige der bemerkenswertesten
Riffs hervor, die je auf einer Platte veröffentlicht wurden." Und
"Needletime" schreibt: "Das ist eine sehr angenehme Überraschung.
Eine deutsche Band die an die frühen "Wishbone Ash" zu ihren
besten Zeiten erinnert, aber doch
viel mehr ist. Imaginationsreich mit den besten Qualitäten des Jazz und
Rock."
Das Live-Album erscheint im Frühjahr 1975 auf dem deutschen Markt und
gleichzeitig wird"Andy Nogger" in Kanada und den Staaten veröffentlicht.
Innerhalb von vier Wochen steht"Andy Nogger" auf Platz neun der meistgespielten
LPs aller amerikanischen FM-Sender.
Kurz darauf wird das Album auch in Südafrika, Australien, Frankreich, Skandinavien
und Großbritannien veröffentlicht. Die große Europa-Tournee
1975 befreit KRAAN endgültig von dem Ruch (wenn er zu dieser Zeit überhaupt
noch bestand), nur in Deutschland eine lokale Größe zu sein. Die
Stationen dieser Tour hießen Deutschland, Holland, Österreich, Schweiz,
Frankreich und Skandinavien mit dem Roskilde-Festival bei Kopenhagen. 30.000
Zuhörer erleben KRAAN "top of the bill" neben Focus and Procol
Harum. In England schließ1ich erhalten KRAAN die höheren Weihen der
renommierten Clubs "Marquee" und "Roundhouse" in London.
John Ingham von der englischen "Sounds" notiert dazu: "Wie "Man"
improvisieren sie innerhalb strukturierter Songs. Wie beim "Mahavishnu
Orchestra" ist ihre Musik ein Fluß höchster and äußerster
Energie. Aber musikalisch sind sie sie selbst, klar and leicht, aber dennoch
kraftvoll. Man schuldet es sich selbst, sie zu sehen."
Auf dieser Tour beginnt ein "Experiment", das ein Jahr später
seine folgerichtige Fort- setzung erfahren soll. Ingo Bischof, Keyboardmann
bei der Berliner "Karthago", nimmt als fünfter Mann an der kompletten
Europa-Tour teil and spie1t auch die fünfte Produktion, "Let It Out",
mit ein. "Let It Out", auf Wintrup selbst mit Conny Plancks mobilem
Recording-Set aufgenommen, wird weltweit am 1. September 1975 veröffentlicht
und erwirbt sich das Prädikat "professionellstes deutsches Album".
Ingo Bischof verläßt die Gruppe , um wieder in Berlin zu arbeiten,
und im Februar '76 brechen KRAAN zu einer neuen England-Tournee auf , die mit
dem TV-Klassiker "Old Grey Whistle Test" beginnt and mit dem nahezu
ausverkauften "New Victoria Theatre" endet. Schon im April findet
die nächste and dritte England-Tour statt. Pete Makowski meint in der englischen
"Sounds": "Sie waren brilliant and begeisterten sofort ihr Publikum."
Und David Brown im "Record Mirror & Disc": "Die deutsche
Band KRAAN gab ein Lehrstück und demonstrierte, wie man aufregend and subtil
sein - und dabei dennoch Rockmusik machen kann"
Auch die etwas schwerfälligen kontinentalen Fernsehgesellschaften sind
nun endlich aufmerksam geworden. Das Schweizer Fernsehen sendet ein Live-Konzert
and selbst das ZDF dreht einen Fernehfilm über KRAAN.
Im April and Juni schließen sich zwei Skandinavien-Tourneen an and die
Monate Mai, Juni, Juli und August sind die Veröffentlichungsdaten für
"Kraan Live" in England and Skandinavien and "Let It Out"
in Kanada and Amerika. Für September und Oktober ist die traditionelle
Deutschland-Tour angesetzt und nun erfolgt, was sich bereits 1975 andeutete.
Saxophonist Alto Pappert verläßt die Gruppe and Ingo Bischof hält
mit Synthesizer, Clavinett und E-Piano Einzug. 22 Konzerte in fünf Wochen
stehen auf dem Programm and die abschließende Bilanz sieht so aus: 21
Konzerte sold out, über 30.000 Zuhörer and die Popularität trotz
(oder aufgrund) der Umbesetzung größer denn je. Vor und nach der
Tour gehen die Arbeiten an der neuen sechsten Produktion weiter . Mit der Veröffentlichang
von "Wiederhören" am 1. März wird jedem klar sein, was KRAAN
nicht mehr ist.
KRAAN ist keine Deutschrockband mehr, wenn man bei diesem Begriff alle Unzulänglichkeiten der deutschen Szene and die oftmals dumpfe Provinzialität unserer heimischen Erzeugnisse impliziert, sondern KRAAN ist schlicht eine deutsche Rockband. Eine deutsche Rockband, die in der Lage ist, wie es der amerikanische "Rolling Stone" formuliert, "das Spektrum von den für alle zugänglichen Jazzsiebzigern eines Stanley Clarke bis hin zu den easy-listening, spitzfindigen leadinstrumentals von englischen Kultgruppen wie "Camel" und "Caravan" zu umfassen.
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