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"Musikexpress" 3/77 Gig in Krefeld (germany)
Pfingstmontag1977
in der Krefelder Rheinlandhalle; draußen Hochsommer, drinnen Deutschrock-Festival.
Neben Guru Guru, Hoelderlin und Wallenstein treten auch Kraan auf; und jedefrau und jedermann im Saal weiß, daß Peter Wolbrandt, Ingo Bischof, Hellmut Hattler und Jan Fride ihr Abschiedskonzert geben. Im anschließenden Interview erzählt ein unrastig wirkender Hellmut Hattler etwas von "divergierenden musikali- schen Interessen", vom Auseinanderleben, von verschiedenen Solo-Projekten und auch von der Möglichkeit, daß Kraan alsbald doch wieder touren, weil das Finanzamt vor der Tür stehe. Aber nichts davon sei bereits endgültig. Für die deutsche Szene war Kraans Ende zwar kein Schock, wie einige Kritiker meinten, aber ein herber Verlust war's trotzdem. Denn Kraan, gegründet im Jahre 1971, als beispielsweise Can oder Amon Düül II schon einlge Jährchen auf dem Buckel trugen - hatten zwar den BRD-Rock nicht maßgeblich beeinflußt. Dafür aber hatten sie der Nachwelt eine Serie von Konzerten und sechs Alben serviert, über die Kraan-Fans jedesmal freudig erregt untereinander diskutier- ten. Zum Beispiel "Andy Nogger". Über diese Platte mußte man vor drei Jahren noch wegen mangelnden Selbstbewußtseins unserer Szene schreiben, daß sie mal auf Platz neun der meistgesspielten Alben amerikanischer FM-Sender gestanden habe. "Let lt Out" wurde seinerzeit mit dem Prädikat "professionellstes deutsches Album" bedacht. Vor allem das brillante Doppelalbum ,,Kraan Live" mit all den herrlichen Sachen wie ,,Kraan Arabia", ,,Nam Nam" und ,,Sarah's Ritt durch den Schwarzwald" gilt mit Sicherheit als Meilen- stein unter den vor Jahren recht häufigen Mühlensteinen der bundesdeutschen Rock- musik. Naja, und dann hat's eben doch wieder geklappt. Es gibt eine neue Platte, die heißt ,,Flyday" (siehe ME 2/79), da steht unübersehbar Kraan drauf. Es gibt eine Tour und es gibt vier Leute, die frisch verliebt sind. Diesen Eindruck muß man zumindest gewinnen, wenn man miterlebt, mit welch glänzenden Augen die vier an den Neubeginn gehen. "Ich bin halt ein paarmal nach Ulm gefahren und hab wieder mit Hellmut gespielt, und wir haben uns gewundert, warum wir nichts mehr zusammen ma- chen", erklärt Gitarrist Peter Wolbrandt ,und Hellmut Hattler ergänzt grinsend: "nachdem wir gemerkt haben, daß wir uns ja gar nicht die Fresse einschlagen!" Aus dieser überraschenden Erkenntnis resultierte dann die Überlegung, doch "live wieder was zu machen". Hellmut findet es heute noch "verrückt" daß Peter und er im vergange- nen Jahr, als sie ihre eigenen Projekte verfolgten, die gleiche Entwicklung durchmachten; Hellmut mit Bassball und Peter mit Yagua. "Peter kam mit so pentatonischen Sachen an, und das ist mir sofort reingegangen. Im Studio merkten sie dann, was die Trennung - die Hell- mut übrigens nie für richtig hielt - so alles bewirkt hat. "So eine Platte wie ,Flyday' hätten wir mit dem alten Film, der gelaufen ist, nie machen können." Als dann schließlich auch noch Ingo Bischof, der nach seinem Intermezzo mit der Berliner Band Sunset kurz- fristig bei den Gurus eingestiegen war, und Udo Dahmen, Hellmuts "Bassball"-Drummer, auftauchten, war eigentlich allen klar, daß das Kraan war. Wintrup übrigens, sagt Hell- mut, spiele heute nicht mehr so eine Rolle wie früher, obwohl das Zusammenleben auf dem Gut ziemlich wichtig gewesen sei. Nur der ehemalige Kraan- Trommler Jan Fride lebt dort noch mit mehr ländlichen als musikalischen Ambitionen. Die mittleren Live-Katastrophen der letzten beiden Kraan- Jahre sind den Musikern heute bewußt und gegenwärtig. Die Gruppe hatte zuweilen demonstrativ kaputt gespielt, um auch dem letzten Optimisten nachdrücklich zu beweisen, daß sie den Bettel am liebsten hinwerfen würde. Peter: "Das war halt die Gruppenkonstitution. Eine Band muß aus total unterschiedlichen Charakteren be- stehen, sonst sind alle zugleich down. Früher war manchmal Hellmut der einzige, der gut drauf war, aber er konnte es dann auch nicht mehr rausreißen. Ich hab' halt jetzt, zum Beispiel auf der Alto Tour, gelernt, nicht die Fresse hängenzulassen, wenn sowas passiert, sondern einfach weiterzumachen." Das sei unheimlich wichtig, erklärt Peter, der noch vor einem Jahr die Schuld ganz woanders gesucht und auch gefunden hatte. Irgendetwas muß an diesem Lernprozess tatsächlich dran sein, denn als jetzt im Verlauf des Gesprächs die Frage auftauchte, wo und wann man sich denn auf die erste Tour vorbereiten solle (Start am 21. Februar) geht das ganz ruhig und sachlich ab. Vor gar nicht allzulanger Zeit hätten solche Organisationsgeschichten noch in den jeweiligen Schmollekken geendet. Musikalisch allerdings halten alle Mitglieder von Kraan von großartigen neuen Konzepten nicht viel. Erstmal haben sie ja einen neuen Drummer (und was für einen) und zum anderen haben sie, so Hellmut- genug "frisches Wasser aus unterschiedlichen Quellen" getankt. Generalstabsmäßiges For- schen nach lukrativen stilistischen Variationen ist nicht Hattlers Sache: "Wenn einer daherkommen und sagen würde, er habe ein neues Konzept, da könnten wir ja gleich in die Organisationsabteilung von IBM gehen." lock/ba |