Wenn man sich über viele Jahre mit Musik auseinandersetzt , beruflich und privat , aktiv als Musiker ,Lehrer , wenn man über Musik schreibt , nachdenkt , passiv als Hörer , kommt man immer wieder an den Punkt , an dem man sich fragt : Warum gefällt mir diese oder jene Musik , Musikrichtung , Komposition , was bewegt mich daran so sehr, dass es mich auch nach langer Zeit nicht loslässt , ein Teil meines Lebens geworden ist ?
Sind es , wie auch immer zu definierende , qualitative Gesichtspunkte , die
beeindrucken , oder einfach persönliche Querverbindungen , Assoziationen
, eine Saite im tiefen Inneren , angeschlagen durch erlebte Momente , die
im Grunde mit dieser speziellen Musikdarbietung gar nichts zu tun hatten ,
aber nun unlösbar
damit verbunden sind ?
Ist doch Musik nie eine statische , absolut fixierte Existenz ( wie ein Gemälde etwa ) , sondern stets flüchtig , wahr nur in dem Moment , in dem sie erklingt . Es gibt immer eine Beziehung mit drei Koordinaten :
Die Musik , den Hörer , und die Hör-Situation .
Das war schon immer so , doch sind wir heute in einer ganz anderen Position
als vor beispielsweise 200 Jahren , als es für den Hörer nur möglich
war , Konzerte zu besuchen , in denen ( meist vom Komponisten selbst ) in
einem unwiederbringlichen Moment das Klangerlebnis geschaffen wurde .
Heute ist der Hörer emanzipiert , die unerschöpflichen Möglichkeiten
der Tonträger bemächtigen ihn , immer wieder aufs Neue Situationen
zu erleben , in denen er Musik hören kann , die ein Anderer in einem,
von dieser Situation völlig losgelösten Moment erschaffen hat (
den es darüber hinaus vielleicht nie wirklich gab - man denke an die
Möglichkeiten des Tonstudios , in dem geschnitten wird , mit Mehrspurtechnik
musikalische Abläufe dargestellt werden , die so nie in Realität
stattfanden ) .
Denkbar wäre , dass ein Sänger ein Lied aufnimmt , das aus der tiefsten
Verzweiflung seiner Seele entsprungen ist , noch dazu in einem Moment , an
dem er selbst am Abgrund steht , bereit , sich eine Kugel durch den Kopf zu
jagen - ich dagegen höre diese Lied Jahre später , wohlig mit der
Geliebten in der Badewanne plantschend , den Discman neben der Wanne , und
wir zeugen unser erstes Kind - für ewig diese Erinnerung an einen ( doch
wieder unwiederbringlichen ) wunderbaren Moment , in Verbindung mit dieser
einen Melodie , in uns tragend . Die Frage , ob nun dieses Lied ein
trauriges oder glückliches ist , kann sich so also nie stellen .
( Man höre aus dieser Position heraus einmal Nick Drake's " Pink Moon " ! )
Was gefällt mir an Kraan ? Was fasziniert mich an der Musik einer Band , die nie den Status etwa der " Rolling Stones " ( ein schlechtes Beispiel , zugegeben ...) erreicht hat , nie ein weltbewegendes Stück wie " Blowing in the wind " ( noch schlechter ...) verfasst , und schon gar nicht den Respekt der sogenannten ( selbsternannten ? ) Kulturelite erlangt hat ?
Nicht einmal im Rocklexikon ( vgl . zB. RoRoRo Sachbuch ) sind sie zu finden . Für mich sind sie dagegen eine der wichtigsten und interessantesten Bands , die es je in Deutschland gab ( und es gibt sie ja noch immer ! ), ein herausragendes Beispiel für den Stellenwert und die Schönheit der Rockmusik , und damit meine ich die Musik , die nicht im schalen Sumpf des Hitparaden - Kommerzmülls verkommt , sondern die einen der grössten künstlerischen Werte , die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat , darstellt .
Nun ist dieser Versuch einer Musikbeschreibung bewusst ein ganz persönlicher , und schnell könnte man einwenden , hier schwadroniert doch einer aus der Badewanne seiner kleinen , eigenen Erinnerungen heraus , Nebensächliches verklärend .
Doch wer genauer hinsieht - und dazu genügt es , eines der immer noch stattfindenden Kraankonzerte zu besuchen , oder eine kleine Internetrecherche zu starten , und bspw. ein Gästebuch auf einer der Kraansites zu lesen - der stellt fest , dass diese Musik nach wie vor verlegt und gehört wird , und das bei Weitem nicht nur im Inland. Er stellt weiterhin fest , dass es genug , ja viele Menschen gibt , die ähnlich empfinden , denen diese Musik auch heute noch viel , sehr viel bedeutet .
Und es ist unwahrscheinlich , dass all diese Menschen in derselben Badewanne sitzen .
"Innerhalb von wenig mehr als einem Jahr erlebte Batz hier die Bands des Brain-Labels Jane , Grobschnitt an der Spitze , Karthago , mit dem kleinen Joey Albrecht an der Gitarre , die Gurus ( natürlich ) , Pell Mell aus Marburg , die mit ihrem Geiger Smetana's Moldau-Thema verrockten , was den Mädchen die Tränen in die Augen trieb .
Da waren Odin , die auf dem Vertigo-Label ( immerhin die Heimat von Black Sabbath ) einer internationalen Karriere entgegen zu streben schienen , mit dem ekstatischen Jeff Beer ( der einzige Deutsche in der Band ) an seiner Hammond – 2 Jahre später waren sie sang- und klanglos verschwunden . Embryo spielten , wie immer in wechselnder Besetzung , es gab jedes Mal ein Rätselraten , wer wohl in der Band sein würde , nur Christian Burchhardt war immer dabei , Bands , die sofort wieder in der Versenkung verschwanden , aber für eine Saison die kommenden Stars schienen , wie Eulenspygel , Sahara Sunrise oder Professor Wolff aus Ulm und natürlich und vor allem Kraan , die einen grossen Einfluss auf Batz's musikalische ( und somit auch menschliche Entwicklung ) haben sollten .
Das erste Mal sah er die Band noch im Winter , einige Wochen nach den
Scorpions , zusammen mit den anderen ,
Malo natürlich , auch Willi Marescher , der mit in Mergenheim gewesen
war , schloss sich ihnen jetzt öfter an .
Kraan hatten gerade ihre zweite LP "Wintrup" veröffentlicht , und
bei der Ansage beschwerte sich Jack , der Wirt,
scherzhaft , dass sie mittlerweile schon 1200 DM Gage forderten . "Jaaa
" , brüllte Hellmut Hattler in seiner un-
nachahmlichen, exaltierten Art ins Mikro , " wir sind die teuerste Band
der Welt " , und alle lachten , denn wie er so dastand ,wie ein dürrer
, langer Baum , die Schmetterlingsbrille und ( zu der Zeit noch )das wirre
, lange Strohhaar,
den Rickenbackerbass fest in seinen Spinnenarmen , nahm es ihm keiner übel
.
Neben ihm Peter Wolbrandt , der Gitarrist , wie eine Mischung aus Sophia Loren und Dracula , noch grösser , noch dürrer , hinten an den Drums sein Bruder Jan Fride , mit einem Gesichtsausdruck , als wollte er sich im nächsten Moment vor den Zug werfen . Seitwärts dann Alto Pappert , dem ein Saxofon irgendwo aus dem Haarschopf , der sein Gesicht verdeckte , zu wachsen schien , der nie etwas sagte und sich völlig in den unglaublichen Klängen , die er seinem Instrument entlockte , verlor .
Dann begannen sie den Set mit " Gut und richtig " , einem Stück von der neuen Platte , das ihre ganze , absolut einzigartige Art Musik zu machen , resümmierte .
Das treibende Bassthema , das mit seinem kreisendem Ostinato das Stück
definiert ,festschraubt und gleichzeitig
unaufhaltsam nach vorne schiebt , die schneidende Gitarre , die sich anschliesst
,dann das eigentliche Thema übernimmt . Wolbrandt singt die Linie unisono
mit , immer schimmert Hendrix leicht durch , doch der Gesang
ist nicht englisch , auch nicht deutsch , " Deja-dunk " , eine Fantasiesprache
, überdreht und eigenartig dunkel , verleiht dem Ganzen einen besonderen
Farbton .Der Rhythmus , den Fride nun wütend in die Drums drischt, ist
gleichzeitig geschmeidig und knallhart , meist ein Gemisch aus Triolen und
geradem Beat , und so traumwandlerisch mit dem Bass verwachsen , dass man
meinen könnte , ein einziger Musiker spielt beide Instrumente gleichzeitig
.
Darüber schwebt ein heller Saxofonton , einmal samtig von ganz weit her , dann wieder verzerrt , mit dem Wah-Wah-Pedal kreischend verdreht.
Batz sass auf den oberen Bretterdielen der alten Scheune und sah wie die
anderen fasziniert zu den Musikern hinunter,die sich im spärlichen Licht
der Diskothekenanlage in immer grössere Exstase spielten . Es waren keine
Showgebaren bei dem , was sie taten , alles war ganz natürlich und sprach
nur von bedingungsloser Hingabe an die
Musik . Alto Pappert schien wie auf einem Laufband pausenlos zu traben
, während er spielte , Hattler , der das Zentrum der Band war , bewegte
sich auf seltsame Weise asynchron zu seinem virtuosen Bassläufen ,was
eine eigene optisch-akustische Polyrhythmie entstehen liess und Wolbrandt
, meist mit offenstehendem Mund , verdrehte die Augen und sah in einen weiten
, imaginären Himmel , während er sich auf der Gitarre zu wahrer
Raserei steigerte .
Batz war von der ersten Sekunde in diese Musik verliebt . Sie hatte alles , was er sich selbst vorstellte . Hart , laut und schnell war es wahre Rockmusik , doch von grosser Durchsichtigkeit , niemals Gedröhne oder Gemansche , fast wie ein Streichquartett . Auch die Tonalität sprach mehr seine eigenen , klassischen Wurzeln an , das war europäisch, nicht nachgeahmt anglo-amerikanische Einheitsware , aber auch kein kopflastiger Jazz . Dazu die stete , leise östliche Färbung orientalischer Skalen , nicht wirklich ernsthaft , genauso hätte er sich seine eigene Musik gewünscht . "
Soweit ein Auszug aus dem Roman " Wo alle Strassen enden " , in dem die Band
aus der Sicht des jungen Rudolf " Batz " Babatz geschildert wird .
Dichtung und Wahrheit liegen hier eng beieinander . Denn in der Tat liegt
der besondere Reiz der Musik von Kraan in ihrem konzertanten Ansatz . Es ist
"Musik zum Hören " , eine Sache , die im Genre " Rockmusik " ( ohne hier
zu eng definieren zu wollen ) beileibe keine Selbstverständlichkeit ist
.
Zu oft werden doch hier Klischees von auf der Bühne herumturnenden Muskelprotzen
bedient , die , genau wie in jedem anständigen Bierzelt , nur Wohlfühlmechanismen
des Publikums abrufen , stumpfe Tanz - ( oder besser Bewegungs- ) Rituale
, bei denen immer gleiche Akkordfolgen kaum Untermalungscharakter besitzen
. Bestenfalls wird eine gemeinsame Euphorie durch das Absingen bekannter Refrains
erzeugt - Stimmungsmache, die sich vom Musikantenstadl nur unwesentlich unterscheidet
.
Oder die anderen Klischees : aufgesetztes Virtuosentum , man bewundert die
geradezu sportliche Leistung des Instrumentalisten ( " Hast du gehört
, was der heute wieder für ein Solo abgeliefert hat , so schnell war
er noch nie " ), die exaktest vorgetragenen gemeinsamen Instrumentalpassagen
oder Gesangssätze ( " Wie auf der Platte ! " ) oder die aufs Äussertste
perfekte Choreographie im Zusammenspiel mit Bühnenbild und Lightshow
.
Dass Rockmusiker sich einfach auf die Bühne stellen und gut spielen ,
ist eine seltene Ausnahme , bei Kraan ge- schieht genau dies .
Sicherlich der Hauptgrund dafür , dass sie oft dem sog. "Jazzrock " zugerechnet
werden ,denn die oben genannten Virtuosenklischees kennen wir natürlich
vor allem aus dem Jazz ( und , nicht zu vergessen , aus der klassischen Musik
! ) , und die Kraanmusik ist darüber hinaus auch noch , wie dort , in
der Hauptsache instrumental .
Doch ist mir kein einziges Stück aus dem Repertoire der Band bekannt
, dass im typischen triolischen Swing daherkommt , auch die Harmonik des Jazz
, mit ihren alterierten Sept-Non-akkorden in beliebt schrägen voicings
wäre in der weichen , eigentümlichen Melodik der Band ein undenkbarer
Fremdkörper .
Ich habe mich immer darüber geärgert , wie leichtfertig Kraan in
diese Jazzrock-Schublade gesteckt wurden , und sich auch stecken liessen (
ich denke mal , es war ihnen einfach egal - ) , ich finde , ihre Musik hat
mit Jazz absolut nichts , oder doch zumindest sehr , sehr wenig zu tun .
Aber die Schubladen beherrschen die Welt , und wo soll man eine Band einordnen
, bei der wenig gesungen wird , die Musiker offenbar ihre Instrumente überdurchschnittlich
gut beherrschen und auch keinen Hehl aus dieser Tatsache machen ? Eine Musik
, die sich in ihren harmonischen Strukturen nun einmal partout nicht auf die
berühmten drei Akkorde ( Tonika , Subdominante , Dominante ) beschränken
will und auch vom Hörer fordert , länger als drei Minuten zu
zu hören , dann spielt da auch noch ein Saxophon .....?
Eigentlich logisch , dass da nur diese Schublade bleibt .
Und zu den Klischees ....
Natürlich haben wir irgendwann alle auf Hellmut Hattlers Basssolo gewartet
und " Hellmut, Hellmut " gebrüllt , natürlich singt das Publikum
sofort begeistert den berühmten "NamNam "- Refrain ( Nananana nana- nananana
naa ) mit und lässt sich von Hattler bereitwillig in polyrhythmische
Klatschgruppen unterteilen . Auch streut Ingo Bischoff mittlerweile gerne
einmal ein Pianosolo ein , das auch in einer gepflegten Jazzcombo aller Ehren
wert wäre , und manch einer hatte vom vielen Mittanzen bei einem Kraan
- Gig hinterher einen respektablen Muskelkater in den Beinen - doch sind das
alles nur Marginalien , sympathisch , aber unbedeutend .
Die Kraanmusik lebt in der Hauptsache von einer fast klassischen Melodik ,
die sich eben nicht so leicht nachsingen lässt , aber doch wieder zu
einfach ( und zu schön ) ist , als dass sie in der Abstraktion des Jazz
ihren Platz hätte , und vom konzertanten Zusammenspiel der Musiker ,
konzertant im guten ( auch wieder klassischen) Sinne , ähnlich den Solisten
im barocken Concerto Grosso . Das Ganze bleibt stets durchsichtig , denn es
sind ja nur ( meist ) vier Musiker , die sich auch noch gebührend Platz
lassen - es heisst ja auch kon- zertieren und nicht kontra- zertieren
oder konkurrieren - und wird getragen von einer emotionalen Kraft,rhythmischen
Stärke und Geradlinigkeit , wie wir sie eben nur in der Rockmusik finden
.
Schublade zu .
Dies sind Betrachtungen aus der Sicht des Musikers , dennoch ganz persönlicher
(s.o. ) Natur .
Sie stützen sich in der Hauptsache auf die bekannten Veröffentlichungen
der Band und viele Erinnerungen an live Gehörtes , sowie Biographisches
, soweit es mir bekannt ist . Gerade im Bezug auf Letzteres wird kein Anspruch
auf Vollständigkeit erhoben , etliches wird nach zu tragen sein und ggf
der Ergänzung bedürfen .
Kraan entstanden wohl um 1970 herum , geographisch um die Zentren Berlin
und Ulm ( die Heimatstadt von Hellmut Hattler ) herum , wenig später
dann das Gut Wintrup in Westfalen , das für etliche Jahre zum gemeinsamen
Wohnsitz wurde . Äusserungen der Musiker zufolge sind die musikalischen
Anfänge stark vom ( Free-)Jazz beeinflusst (also doch ! ) , was ich allerdings
in seiner Ernsthaftigkeit bezweifle , schnell wendet sich die Band aber dem
harten Rock zu ( " damals war es dann so, je härter je besser " H.H )
. Es entwickelt sich vor allem auch durch gemeinsame Improvisation ein eigener
Stil , der ursprüngliche Bandname " Inzest " wird verworfen .
Die Besetzung steht :
Peter Wolbrandt | ein exaltierter Gitarrist und Sänger , der von Beginn an seinen völlig eigenständigen, durch schnelles Spiel und Effekte gekennzeichneten Stil entwickelt |
Hellmut Hattler | der durch sein unvergleichliches Spiel den Bass in der Rockmusik neu definiert ,das Zentrum der Band |
Jan Fride | zum Schlagzeuger geboren , mit einem sensationellen Rhyrhmusgefühl , eine ungeheure Wucht mit eleganter Geschmeidigkeit kombinierend, Bruder von Wolbrandt |
Johannes "Alto Pappert | ein stiller Saxofonist , der auf dem Altsaxofon , auch mit Hilfe von Effekten einen faszinierenden , neuen Ton entwickelt . |
Kraan ist geboren , die erste LP " Kraan " wird in München aufgenommen
.
Das Material ist zum Teil noch unausgegoren . Neben leicht Verworrenem ( "
M.C.Escher " sowie das lange "Head " , eine etwas planlose Improvisation ,
mit effktgefärbtem Schlagzeugsolo ) sind aber vor allem zwei Stücke
enthalten , die das Live-Repertoire der Band für die nächsten Jahre
dominieren : " Sarah's Ritt durch den Schwarzwald " und " Kraan Arabia " .
Beide Kompositionen enthalten Elemente , die den Stil von Kraan zunächst
einmal mit definieren .
" Kraan Arabia " , auch in der Anlage improvisatorisch , stellt über
einen treibenden Bass-Ostinato , untermalt von Congas , ein naiv-orientalisches
Thema , das von Saxofon und Gitarre unisono getragen wird . Es ist schneidend-eindringlich
und lyrisch zugleich , was auch am Ton von Pappert und Wolbrandt liegt, der
sich bei Beiden in seiner Charakteristik bereits hier deutlich abzeichnet
. Gemeinsam wird im Wechselspiel mit den Solisten die Intensität immer
weiter gesteigert , der Rhythmus verdichtet sich mit dem einsetzenden Schlagzeug
und treibt das Stück stetig nach vorne . Nun wird die Grundtonalität
des Ostinato verlassen , man moduliert durch verschiedene Tonarten bis zu
einem gemeinsamen Höhepunkt , der abklingt zu diesen ruhigen , einsamen
Saxofontönen , die nun ohne Rhythmus die Musik in einem Schwebezustand
verharren lassen . Das Saxofon führt zurück zum ursprünglichen
Grundton , aus dem heraus noch einmal das Thema erklingt .
" Sarah's Ritt durch den Schwarzwald " ist auf der ersten Platte noch mit einem gewagten , deutschen ( ! ) Text versehen , der jedoch live schnell verworfen wurde . Das Stück lebt von einem der simpelsten und doch packendsten Bassmotiven , das von vielen Bands vor allem des Heavy-Rocks verwendet wurde :
Man findet dieses Motiv in der Tat sehr häufig , man denke an Bands wie
Budgie , Hawkwind , mit Einschränkungen an Black Sabbath und die frühen
Deep Purple , am bekanntesten wurde es jedoch in der Rockfassung des Traditionals
" Morning Dew " von Nazareth , ein Heuler in jeder halbwegs anständigen
Rockdisco der 70er .
Kraan entwickelt daraus aber nach einem kurzen Einstieg ein äusserst
sperriges , eckiges Thema mit einer unbequemen , chromatischen Tonalität
, das bei genauem Hinsehen innerhalb weniger Takte sprunghaft das Metrum wechselt
, eigentlich eine Folge von 4/4 , 3/4 , 4/4 2/4 und 4/4 .
Auch diese Rhyhmik ist eher typisch für den Hard - oder Heavyrock , wo
oft völlig unmotiviert die Metrik wechselt und sich dem Gang des Riffs
unterordnet , ohne dass man als Musiker noch mitzählen würde ( wozu
auch ? )
Die Platte erhält in den einschlägigen Medien ( " Sounds " u.a.
) durchweg gute Kritiken , Kraan werden zur "Newcomer-Gruppe des Jahres "
gewählt und legen ein dreiviertel Jahr später mit " Wintrup "
ihre zweite Veröffentlichung nach .
Benannt nach dem alten Gutshof in Westfalen , den ein adeliger Kunstmäzen
zur Verfügung gestellt hatte , ist die LP im gleichen Münchner Studio
aufgenommen , doch Band und Technik hatten sich hier viel differenzierter
auf die Aufnahmearbeiten eingestellt .
In allen Stücken wird viel konzentrierter und präziser , auch auf
engerem zeitlichen Raum , der vielschichtige
Stil der Band klar definiert .
Die schnellen , harten Stücke " Silver Wings " , " Backs" und " Jack
Steam " sind treibend-rockig und song- orientiert , lassen aber in Zwischenteilen
Raum und Luft für ,vor allem vom Saxofon durchgeführte , sanftere
Instrumental- Passagen , das lange " Mindquake " ist mit Pink Floyd -artigen
Klangcollagen ( vgl . " Alan's Psy- chedelic Breakfast " / Atom Heart Mother
) angereichert , " Gut und richtig " zeigt Hattler zum ersten Mal in seiner
typischen Art als dritten Solisten und treibenden Kern der Band , dazwischen
die mit akkustischer Gitarre untermalte Ballade " Wintrup " , gesungen von
Hattler und Wolbrandt , ausgearbeitet mit einem schnelleren Improvisations-Mittelteil
.
Auch heute noch ist der Sound der Platte von einer überraschenden Direktheit
, sehr plastisch und rund . Die Musik ist von zeitloser Qualität und
könnte jederzeit in ihrer Aktualität bestehen . Es war gelungen
, die emotionale Stärke und musikalische Vielfarbigkeit von Kraan auch
im Studio ein zu fangen , was sich bei vielen Rock-Bands und -Musikern bis
heute oft als unüberbrückbare Schwierigkeit erwiesen hat .
Dennoch , wer die Band zu dieser Zeit live erlebt hat , weiss , mit wieviel
mehr Wucht und Intensität das Material im Konzert vorgetragen wurde .
Dies und der kristallklare Live-Sound zementierten immer mehr den Ruf von
Kraan als Live-Band .
So dauerte es bis 1974 , bis das Nachfolge-Album vorgelegt wurde , das national
endgültig für den Durchbruch sorgen sollte : " Andy Nogger "
.
Der plakative Titel , mit entsprechendem Cover , einen ,vor allem von Wolbrandt
gepflegten , gewissen androgynen Nimbus suggerierend , der auch dem Zeitgeist
(David Bowie , Lou Reed , Roxy Music etc . ) entsprach , und eine noch grössere
musikalische Geschlossenheit und Präzision , auch was die Anlage der
Kompositionen betraf - Andy Nogger musste Erfolg haben .
Die Platte geht noch konsequenter in verschiedene , sich ergänzende Richtungen
:
Die rockigen Stücke wie " Stars " " Yellow Bamboo " und " Home " mit
schneidendem , aggressiven Sound : Wolbrandt deutet Hendrix-Einflüsse
an , führt die Band mehr zu in sich geschlossenen Rocksongs , die trotzdem
durch viele Details ( Klangcollagen , akkustische Gitarre , Orientalismen
, die Saxofonpassagen ), nie ins Stereotype abgleiten . Dazu groovig - perkussives
wie "Son of the Sun " und das herausragende Titelstück , das fast popig
gerät , intelligente , manchmal ( typisch ) krytische Texte , die mehr
eine weitere Farbe hinzu fügen , als dass sie " Aussage " wären
:
" Yellow Bamboo " beschränkt sich einfach auf die Zeile " Came down from
the sky , rock me yellow bamboo " , von Wolbrandt mit Stimme und Gitarre zerhackt
, gedehnt und fast instrumental zersungen .
Und dann zwei Stücke , die Kraan als virtuose Instrumentalisten zeigen
und für viele Jahre Höhepunkte der Konzerte werden sollten : " Nam
Nam " und " Holiday am Marterhorn ".
"Nam Nam " beginnt eins der vielen Themen , die in ihrer Kontrapunktik zwischen
Bass und Melodielinie ,diese Band kennzeichnen , mit langsamem Beat und schnarrendem
Saxofon . Das eigentliche Thema , das bei tausenden von Konzerten begeistert
vom Publikum mit gesungen worden ist , entwickelt sich aber erst später
aus dem ersten Ansatz heraus , nachdem der Rhythmus sprunghaft in ein schnelles
Tempo übergegangen ist , kurz wird der " Kraan-Shuffle " ( s.o. " Sarah
" ) angedeutet , dann steht dieser quicklebendige , leichtfüssige Beat
, der trotzdem die Wucht , die Rockmusik auszeichnet besitzt .Der Rest ist
Geschichte .... (s.a. nächstes Kapitel ).
" Holiday am Marterhorn " ist sicher mit das bekannteste , beliebteste Livestück
der Band und ein Lehrbeispiel ausgefuchster Polyrhythmik , die aber eben nicht
in den Kopf sondern in den Körper geht . Der Bass legt über ein
im Grunde ruhiges Metrum ( ca. 80 bpm.) ein rasendes Motiv in 16-tel Triolen
( 16-tel also gleich 480 ! ) , das Schlagzeug greift das Metrum auf , allerdings
mit dem Kunstgriff die Viertel sowohl in 8-tel ( 160 bpm ) als auch in 8-tel-Triolen
( 240 ) zu teilen . Jeder , der sich mit Polyrhyrhmik ( man könnte das
auch als einen Konfliktrhythmus bezeichnen ) weiss , was für eine unglaubliche
Fahrt solch ein komplexer Groove entwickeln muss , wenn er exakt gespielt
wird , und das wird er hier auf atemberaubende Weise .
Dennoch würde sich dies alles sehr schnell totlaufen , wäre da nicht
das Thema ( s.u. ) das sich schwermütig in e-Moll erhebt , erst von Wolbrandt
nur angedeutet , dann von Pappert über die Basslinie ruhig und ernst
vorgetragen wird , fein zwischen den 8-tel Triolen und geraden 8-teln schwebend
.
Ich erinnere mich an viele Momente in Konzerten in den folgenden Jahren ,
wenn man als Hörer wie in Zeitlupe über diesem mehr als mitreissendem
Rhyhmus schwebte , während die Melodie einem das Herz schwer machte .
Vor allem aber erinnere ich mich an einen Aufenthalt bei Freunden in Paris . Wir waren in einem alten Benz unterwegs und hatten vorne ein kleines Tonband installiert . Da wir nur wenige Bandspulen in diesem kleinen Format besassen , konnten wir nicht viel Musik für die Reise mitnehmen , die Plattenseite mit " Holiday" ( allerdings in der Live-Version ) war ein Muss ! Unsere französischen Feunde hatten noch nie etwas von Kraan gehört , es war zu vorgerückter Stunde in euphorisierter Stimmung . Wir fuhren langsam durch den nächtlichen Bois de Boulogne , da erklang diese Musik . Alle wurden still . Die Klänge verbanden sich wie dafür geschaffen mit den dunklen Bäumen des riesigen Parks , die lange erleuchtete Strasse schien sich in der Unendlichkeit zu verlieren . Es dauerte das ganze Stück bis endlich einer der Franzosen den Mund aufbekam und sich nach der Band erkundigte , sie waren vollkommen fasziniert und betonten immer wieder , noch nie Derartiges gehört zu haben .
Damit wären wir auch schon wieder in der Badewanne gewesen - doch zurück zu "Andy Nogger " .
Ein Name verbindet sich ab hier mit Kraan und ihrem Sound : Conny Planck . Einer der genialsten deutschen Toningenieure , der sein eigenes , anfangs kleines , unabhängiges Studio in Neunkirchen aufbaute , nahm sich der Band an . Er avancierte in der Folgezeit zu einem der gefragtesten Aufnahmetechniker und Produzenten , arbeitete selbst mit internationalen Grössen wie Brian Eno und David Bowie und betreute vor allem die kreativen Köpfe der deutschen Rockszene , Kraan an der Spitze . Der aussergewöhnliche Sound von "Andy Nogger " ( und den folgenden Alben ) geht sicherlich zum guten Teil auf sein Konto . Alles ist perfekt herausgearbeitet : Wolbrandt's Gitarren mit Wah-Wah , Phasern und Delays , die schwebenden Saxofonlinien Pappert's , Hattler's prägnanter , rasender Plektrum-Bass und die Rhythmik , die das Schlagzeug meist in pulsierende Perkussionsmuster einbettet . Darüber die exzentrischen Gesangssätze , und dies alles zusammengefügt zu einem runden , harmonischen Klangbild , das sich heute noch wohltuend abhebt vom Einheits-Soundbrei auch vieler internationaler Produktionen. Es gelang Conny Planck , der leider vor wenigen Jahren viel zu früh verstorben ist , sogar der Kunstgriff die zwei oben genannten Giganten-Stücke , die natürlich ihre musikalische Urgewalt gänzlich nur auf der Bühne entfalten konnten , mit geschickt gestaffelten Hallräumen in den kleinen Dimensionen des Studios zur Entfaltung zu bringen .
" Andy Nogger " brachte den gewünschten Erfolg , der Ruf von Kraan verbreitete
sich über die ganze Republik und darüber hinaus . Die Zeitschrift
" Musik Express " , die eigentlich mehr eine jüngere Pop-Klientel bediente
, wählte das Album zur Platte des Jahres . " Recht so !" möchte
man ausrufen und fragt sich doch warum , denn trotz aller Perfektion und Geschlossenheit
beugt sich diese Musik zu keiner Sekunde irgendwelchen kommerziellen Gesichtspunkten
, sondern bleibt vollkommen konsequent unkonventionell , nicht einordenbar
und nur sich selbst künstlerisch verpflichtet .
Kraan begann nun grössere Säle zu füllen , landauf landab spielten
sie mehr als hundert Auftritte im Jahr ohne sich vorläufig tot zu laufen
. Sie erfüllten jedes Konzert mit ihrer völligen Hingabe an ihre
Musik , ohne Posen , ohne Show , man merkte ihnen stets an , dass sie hier
waren um des Spielens willen .
Wer sie zu dieser Zeit live erlebt hat , weiss , dass auch ihr Bühnensound
bei aller Lautstärke kristallklar und exzellent war . Das sollte eigentlich
bei dieser kleinen Besetzung ein Leichtes sein , doch unzählige Beispiele
bis auf den heutigen Tag beweisen im Gegenteil , dass es sehr wohl möglich
ist , selbst ein Rocktrio in einem Gemansche aus unkontrollierten Frequenzen
in dumpfen Wummern versinken zu lassen . Zu oft paart sich vor allem in diesem
Genre ( aber beileibe nicht nur da ) Inkompetenz und Ignoranz mit technischen
Unzulänglichkeiten .
Bei Kraan war dies anders . Sie besassen mittlerweile eine hochwertige Anlage
, ein kleines , äusserst versiertes Roadteam mit Günther " Gunni
" Theis an der Spitze und spielten volkommen diszipliniert ( was leider vielen
Rockmusikern fehlt ) , d.h. sie konnten mit ihrer Lautstärke bewusst
umgehen .
Ihr Sound erfüllte jeden Saal mit mit einer Klarheit von ungeheurer Wucht
- stets sauber ausbalanciert wischte er die räumlichen Gegebenheiten
zur Seite und nahm die Zuhörer auf eine atemberaubende Klangreise mit
- die Essenz von Rockmusik .
Wieder war es Conny Planck , dem es gelang , diesen Klangrausch auf Platte
zu bannen :
" Kraan Live " , d a s Kraanalbum schlechthin erschien 1975 . Aufgenommen
an zwei Abenden im Berliner Quartier Latin repräsentiert es eine Summe
des bisherigen Schaffens der Band . Ein Bogen wird gespannt von " Sarah's
Ritt " bis hin zu neuen Stücken ( " Jerk of Life " , " Hallo Ja Ja ,
I don't know , " Gutter King " und " Lonesome Liftboy " ) , die sonst nicht
auf Platte veröffentlicht wurden , aber z.T. bis heute im Repertoire
der Gruppe geblieben sind . Dazwischen die fulminanten Versionen von " Nam
Nam " und " Holiday " , nun endlich in ihrer ganzen Dynamik und Bandbreite
ausgespielt .
Viel ist über dieses Album geschrieben und gesagt worden , und doch zu
wenig . Es steht wie ein Monolith in der Geschichte der Rockmusik insgesamt
, in einer Reihe mit den grossartigsten Live-Alben wie "UmmaGumma" ( Pink
Floyd ) , " Live at Fillmore " ( Allman Brothers ) , " Scull and Roses " (
Grateful Dead ), vielleicht ist es die beste Live-Rock- Platte überhaupt
.
Auf jeden Fall avancierte " Kraan Live " zum grössten Verkaufserfolg
der Band , obwohl es natürlich seine Schöpfer nicht zu Millionären
machte , anders als bei so vielen musikalisch - halbseidenen Ergüssen
der sogenannten " Grossen " - die deutsche Rockmusik bewegt sich eben in anderen
, kleineren Dimensionen . Kraan hatten ihren Zenith erreicht . Die Plattenumsätze
stiegen , die Konzerte waren ausgebucht und die einschlägigen Medien
hatten die Band längst entdeckt , jede Woche gab es etwas über sie
zu lesen oder zu hören . Auch das Ausland begann auf zu horchen , es
gab vereinzelt Auftritte ( u.a. Roskilde ) , selbst aus den USA wurde Interesse
bekundet .
Doch - wie könnte es auch anders sein - begann es zu kriseln , die fieberhaften
Aktivitäten der Band begannen bei einigen Mitgliedern Spuren zu hinterlassen
. Vor allem Fride und Pappert , denen eine drohende Kommerzialisierung nicht
in den Kram passte , drohten mit Ausstieg und liessen vereinzelt Termine platzen
.
Ausgerechnet in dieser Phase wurde das Setup um einen fünften Musiker
erweitertert : Ingo Bischoff , Keyboarder der befreundeten deutschen Band
Karthago ( s.u. ) , wechselte die Fronten und spielte Ende Mai 1975 seinen
ersten Kraan - Gig . In der Tat brachte Bischoff , vor allem durch seinen
sanften Rhodes-Piano Sound , mehr Jazz-Einfluss in die Musik , doch war dies
nur bei seinen solistischen Beiträgen , und das auch vor allem auf der
Bühne , zu hören . Ansonsten fügte sich der stille , sensible
Pianist nahtlos in den Gesamtklang von Kraan , um ihm eine weitere ,
weiche Farbe zu verleihen . So entstand in einer zwischenzeitlich chaotisch
- turbulenten Phase das schönste Kraan - Album : " Let it out"
Aufgenommen im Sommer , natürlich wieder von Conny Planck , wurde es
bereits Ende 1975 veröffentlicht . Planck hatte die meisten Tracks direkt
in Wintrup bei der Band mobil aufgenommen , um das Resultat dann im Studio
zu ergänzen , zu überarbeiten und fertig zu mischen .
" Let it out " ist von allen Kraan - Platten mein absoluter Favorit und wird
es immer bleiben . Durch Planck's erwähnten Kunstgriff gelang es , einen
volkommen ausgewogenen Grundsound aufzuzeichnen , in dem sich die vielschichtigen
Facetten der Musik ( d.h. vor allem der einzelnen Musiker ) zu einer perfekten
Harmonie fügen . Am meisten beindruckt aber die Wärme und Intimität
, die sich wie ein roter Faden durch die ganze Platte ziehen und die Kompositionen
zu einem geschlossenem Zyklus werden lassen .
Dies erscheint umso erstaunlicher , befand sich doch die Band in einer äusserst
angespannten Situation , die im Laufe des folgenden Jahres zur ernsthaften
Krise eskalieren sollte . Es schimmert durch alle Stücke eine gewisse
Melancholie und Traurigkeit , gepaart mit einer glühenden Intensität
, deren stilles Feuer aber nie zum Ausbruch kommt .
Die Auswahl der Kompositionen war perfekt :
Schnelle Nummern wie der groovige Opener " Bandits in the woods " oder die
als Parade - Live - Stücke konzipierten " Luftpost " und "Prima Klima
" geben allen Musikern Platz sich als Solisten zu präsentieren , strotzen
vor attraktiven Themen und sind Musterbeispiele gemeinsamen , kreativen Musizierens
.
Das Titelstück mit dem programmatischen Text , der auf sympathische Weise
leicht unbeholfen daher - kommt , wirkt neben seiner quirligen Rhythmik am
meisten durch sein herrliches , zweites Instrumentalthema ( s.u. ) , daneben
"Picnic international " , locker dahin gejammt über ein Grundthema von
perfekter Kontrapunktik ( s.u. ) , und das etwas bemüht - experimentelle
" Maschine " .
Mit " Degado " und " Heimweh nach Übersee " enthält " Let it out
" aber zwei der schönsten und lyrischsten Stücke , die der Band
je gelangen .
" Degado " stellt eine wunderschöne Melodie , die wieder einmal fast
liedhaft - klassischen Charakter hat , in den Mittelpunkt , dazwischen singen
Wolbrandt und Hattler den " Text " , der nur aus den Silben des Titels besteht
, den Höhepunkt setzt ein zurückgenommenes , unprätentiöses
Solo von Wolbrandt .
" Heimweh nach Übersee " ist ebenfalls ein sehr stilles Stück in
erweiterter Rondoform . Es beginnt mit einem schnellen 16-tel Motiv , das
von allen mehrmals unisono vorgetragen wird und jedes Mal in einen anderen
, offenen Akord mündet , über den Wolbrandt verhalten kurze Gitarrenphrasen
mitsingt . Es entsteht der Eindruck eines Suchens nach einer Tonalität
, wie nach festem Boden , ohne dass dieser erreicht wird . Dieses Schweben
führt zum Thema , das seinen Reiz aus dem Spannungsfeld zweier Quarten
bezieht , und als Grundmotiv für ein einzigartig - intimes Duett zwischen
Gitarre und Bass dient , welches nun folgt . Hattler und Wolbrandt führen
über den ruhigen Schlagzeugrhythmus eine Melodie durch , die in ihrer
Eindringlichkeit , ihrem Pendeln zwischen Dur und Moll und stetigen Modulieren
in jedem Kammermusikwerk der Spätromantik bestehen könnte ( s.u.
) , dann greift die Band das zweite Motiv wieder auf . Über dunkle Akkorde
, die auch wieder unentschlossen - dissonant hin und her wiegen beginnt nun
ein Saxofonsolo , wie von weit her geweht , klagend , doch auch prägnant
, mit scharf überblasenen Ecktönen , am Ende erklingt nochmals das
erste 16-tel- Motiv - das Ganze dauert knappe drei Minuten .
Vor allem zeigen diese beiden Stücke auch , welch ausnehmend schönen
und persönlichen Ton Peter Wolbrandt in der Zwischenzeit als Gitarrist
entwickelt hatte . Zwischen all den vielen ( und sicherlich auch guten ) Clapton-
Hendrix - Epigonen , die es in Deutschland gab , steht er im Grunde einzigartig
einsam da .
Ich erinnere mich an ein Gespräch , das ich zu dieser Zeit mit Christian
Burchard und ( Gitarrist ) Roman Bunka von "Embryo " führte . Embryo
standen als erklärte Jazz - Rocker , oder vielmehr Jazzer , auch durch
ihre Zusammenarbeit mit Musikern wie Mal Waldron oder Charlie Mariano immer
etwas ausserhalb der deutschen Rockszene . Sie hatten Reisen durch Asien (
auch im Auftrag des Goethe-Instituts ) und Nordafrika hinter sich
und trugen ein leicht elitäres Bewusstsein zur Schau . Im Lauf des Gesprächs
, in dem sie wenig Gutes an ihren deutschen Kollegen der Rockzunft liessen
, die ihrer Meinung nach allesamt dem Kommerz verfallen waren , kamen wir
auch zu Peter Wolbrandt . " Ja " , meinte einer der Beiden , " zumindest hat
er seinen eigenen Ton , das will in Deutschland ja schon etwas heissen ."
Eines hatten sie übersehen : es ist ja gerade der " Ton " , der den Musiker
( nicht nur den Gitarristen ) ausmacht , und das gilt Genre - übergreifend
. Selbst an einem ganz Grossen wie Miles Davis bewundern , lieben wir doch
nicht seine Fingerfertigkeit , oder seine Fähigkeit virtuos über
ein Thema zu improvisieren , es ist der Ton , der uns aufhorchen lässt
, dieser erste Ansatz - und jeder hört , das ist e r , so spielt nur
einer , und nun erzählt er etwas , das nur er erzählen kann . Das
gilt bspw . genauso für die grossen Pianisten der Klassik .
Auf "Let it out " ist auch vom Mix her ( s.o. )Wolbrandt's bemerkenswerter Sound ( Ton ) ausgezeichnet herausgearbeitet . Ich besitze eine Ausgabe des Albums , die ein Jahr später im House of Music in New Jersey / USA für den amerikanischen Markt überarbeitet und neu gemixt wurde . Mit hinzugefügten Hallräumen und auch Nacheditieren der Songstrukturen sollte die Platte für den amerikanischen Hörer leichter konsumierbar gestaltet werden . Anscheinend schien den dortigen Produzenten der Sound zu intensiv , zu eigenständig und wohl auch - zu europäisch .
Doch es kam wie es kommen musste : Kraan begann an dem Dauerstress der ständigen
Konzerte und dem wachsenden Erfolgsdruck zu zerbrechen . In der Zeit nach
" Let it out " sah ich die Gruppe zweimal , dazwischen lagen wohl etliche
Wochen , vielleicht ein , zwei Monate . Der erste der beiden Gigs
( Nürnberg ) war nach aussen hin musikalisch sehr gelungen , doch konnte
man die Spannungen in der Band spüren , wenn man genau hinhörte
.
Drei Solisten ( Pappert , Wolbrandt und Bischoff ) sind nun einmal zuviel
, wenn dahinter ein Bassist wie Hattler steht ... ( Hattler : " ... die Sache
hat sich dadurch auseinander entwickelt . Auf der Bühne gab es schon
mal merkwürdige Blicke mit der Aussage : Was ist'n jetzt los ? Was ?
Du schon wieder ? Ich will auch !" ). Es wurde auch für ihn schwerer
, mit der Erwartungshaltung des Publikums um zu gehen . In Nürnberg begann
er in seinem Basssolo , nach wenigen schnellen Phrasen , versunken melodische
Doppelgriffe anzustimmen . Sofort kamen Rufe : " Schneller , Hellmut ! " .
Er brach ab , versuchte einen neuen Ansatz , wieder Rufe . Über seine
Brille schielte er spöttisch in die Menge - und zeigte den Mittelfinger
, um sich dann doch dem Wunsch zu beugen .
Noch deutlicher erinnere ich den Anfang des Abends . Wir waren spät dran
und betraten den Saal gerade , als die Band , die ebenfalls mit ziemlicher
Verspätung eingetroffen war , bereits vor Publikum noch einen schnellen
Soundcheck machte . Fride testete die Drums , dass man es mit der Angst bekam
. Jeder Rockmusiker weiss , dass man beim Soundcheck bestrebt ist , dem Mixer
möglichst laute Signale vorzugeben ( Peaks ) , damit dieser dann nicht
während des Gigs nur mit dem Nachregeln der Eingangslautstärke beschäftigt
ist . Doch die Art , wie Fride auf sein Schlagzeug eindrosch , war regelrecht
hasserfüllt , es schien wirklich , als wollte er sein Instrument in kleine
Stücke schlagen .
Das zweite Konzert ( irgendwo im Oberfränkischen ) war ein einziges Debakel . Wie so oft geht eben alles schief , wenn es erst einmal anfängt schief zu laufen : Die Halle war ein typisch - neudeutsches Mehrzweckbauwerk , das seinen negativen Betoncharme dadurch verstärkt ausstrahlen konnte , dass die Lichtanlage nicht richtig arbeitete und über weite Strecken die Saalbeleuchtung anblieb . Offensichtlich gab es technische Probleme , auch auf der Bühne . Zwischen den Musikern herrschte eine eisige , angespannte Atmosphäre . Bei " Degado " schliesslich musste die Band nach ein , zwei Minuten wieder abbrechen , es war wohl Strom auf den Mikros , was Wolbrandt beim Singen irritierte , die anderen verloren daraufhin völlig den Faden und hörten einfach auf . Mühsam bewahrte Hattler die Fassung und zählte nach kurzer Unterbrechung den Song wieder ein . Sie spielten ihren Set lustlos zu Ende , und irgendwie waren alle Beteiligten , einschliesslich des Publikums , froh als es vorbei war .
Vorbei schien es auch mit Kraan zu sein . In der Folgezeit stiegen alle Musiker
bis auf Hattler aus der Band aus , um dann wieder ein - und dann doch wieder
auszusteigen , während dieser seinerseits an einem Solo - Album bastelte
. Als Ironie des Schicksals geschah dies genau zu einem Zeitpunkt , als das
internationale Grosslabel Harvest ( Pink Floyd , Deep Purple ) die Gruppe
unter Vertrag nahm .
Es schien , als wollte sich Kraan noch einmal aufrappeln : Fast zeitgleich
erschienen 1977 auf dem neuen Label Hattler's Soloplatte " Bassball " und
" Wiederhören " , das die Band in der Viererbesetzung Hattler , Wolbrandt,
Fride und Bischoff präsentierte , Alto Pappert hatte sich endgültig
verabschiedet . " Wiederhören " hinterlässt beim Hören einen
sehr zwiespältigen Eindruck . Auf der einen Seite ist die Musik perfekt
auf den Punkt gebracht . Alles , was Kraan ausmacht , ist in konzentriertester
Form zu schlüssigen Kompositionen gegossen , auf der anderen Seite ist
es gerade diese Perfektion und das übertriebene Virtuosentum , das den
Hörer ermüdet . Auch der Sound ist noch besser , runder eben perfekter
geworden , obwohl nur noch die Hälfte der Titel mit Planck zusammen aufgenommen
und produziert sind . Drei Stücke haben sich bis heute im Live - Set
der Band gehalten :
" Let's take a ride " ist purer Hendrix , selbst textlich :
" .... the stars are waiting for us to land , Orion takes us by the hand
,
you don't know , what you're gonna find , on the other side of your mind...."
" Yaqui Yagua " mit dem hypnotischen 16 - tel - Beat , über den sich wieder eines der typischen Kraan - Themen erhebt ( s.u. ) , den überraschenden Tonart - und Rhythmuswechseln und lautmalerischem Silbengesang .
Und " Silky way " , eine ruhige Sound - Ballade , in der Gitarre und Keyboards
weite Klangräume malen , ein Stück voller Melancholie und Resignation
, wahrscheinlich das ehrlichste auf " Wiederhören " .
Der Rest driftet bedenklich in die Ecke , die in der Tat der sog. Jazz - Rock
mit Schnellspielern wie Billy Cobham , Stanley Clarke , Al di Meola u.a. zu
dieser Zeit geöffnet hatte . Ein nettes Groove -Stück (" Just one
way") , Nebensächliches ( " Rendez - vous in blue " , " Rund um die Uhr
" ) , und " Vollgas ahoi " und das Titelstück , beide als " typische
Kraan - Stücke " konzipiert : Melodische Themen , rasende Rhythmen ,
verblüffendes Ensemblespiel - doch zu offenkundig ist hier die Absicht
, die Fans zu " bedienen " , alles bleibt seltsam kalt und beginnt nach kurzer
Zeit , den Hörer zu erschlagen .
Diese Kälte war auch live zu spüren , und auch hier war gleichzeitig
eine Höchststufe an Perfektion erreicht , vor allem was den Sound betraf
. Ich sah die Band noch einmal in der " Wiederhören " - Besetzung in
Bayreuth .
Ingo Bischoff ergänzte mit seinen transparenten Keyboards das Klangbild
auf wunderbare Weise , ohne sich in den Vordergrund zu spielen , er hatte
sich volkommen in die Gruppe integriert . Bemerkenswert und bezeichnend jedoch
war Fride's Schlagzeugsolo . Er begann mit ein Paar schnellen Rolls , die
die Neugier des Publikums spürbar anstachelten , und - brach dann ab
. Er blickte mit leeren Augen auf sein Instrument und schlug dann in unregelmässigen
Abständen wie in Zeitlupe auf jeweils eins seiner vielen Crash - Becken
, dazwischen gespenstische Stille . Minuten vergingen , erste Pfiffe , dann
rettete die Band die Situation und spulte routiniert den Set zu Ende .
Kraan war am Ende . Fride hatte die Band verlassen , und Hattler stürzte
sich auf sein Bassball - Projekt . Er hatte auf dem Album einen Spagat nach
allen Seiten versucht , was natürlich schiefgehen musste . Neben den
Kraan - Leuten ( Wolbrandt , Bischoff und auch Fride ) spielten auf einigen
Stücken Deutschrock - Haudegen wie Joey Albrecht ( Karthago ) oder Nops
Noppeney ( Hölderlin ) , aber auch eine Jazz - Koryphäe
wie Gerd Dudek am Sax und Session -Crack Curt Cress ( Passport u.a ) , drums
. Mit dem Songmaterial versuchte Hattler dieses ganze Spektrum abzudecken
und andererseits , sich auf popig - griffige Songstrukturen zu beschränken
.
Mit einer etwas anders besetzten Live - Formation versuchte er , dieses Konzept
um zu setzen , was aber nicht den gewünschten Erfolg brachte . Ich erinnere
mich an einen peinlichen TV- Auftritt in einer unsäglichen Schlagershow
, bei dem Saxofonist Roland Schäffer ( GuruGuru ) mit einer Pinguinmaske
über die Bühne hüpfte. Das Stück hiess " Penguins on Broadway
".....
Dass es so nicht ging , war schnell klar , und umtriebig stellte Hattler Kraan
wieder auf die Beine . Dazu brauchte es aber einen anderen Drummer , den man
in Udo Dahmen ( meines Wissens von der Aachener Band " Ruphus Zuphall ) schnell
fand .
1978 erschien " Flyday " , zwei Jahre später das Live - Album " Tournee " , beide noch auf Harvest .
" Flyday " wirkt ein wenig wie eine Soloplatte von Hattler und Wolbrandt
, was es am Anfang wohl auch war . Selbst bei einigen Drums - und Percussion
- Tracks habe ich den Verdacht , dass Hattler sie selbst eingespielt hat .
Vor allem aber ist es eine äusserst atmosphärische , über weite
Strecken verträumt - ruhige Musik , gerade die zweite Seite , mit dem
versponnenen " Young King's Song " und dem Titelstück fliesst sommerlich
- verweht vor sich hin . Es gibt mit " Ausflug " nur ein Stück , das
in die alte Kraan- Kerbe haut , und auch hier nur im treibenden Mittelteil
, den Wolbrandt unnachahmlich elegant mit einem Gitarrenlauf hochreisst ,
der Rest besteht aus groovigen Mid- Tempo Songs wie " Far West " oder " Gayu
Gaya " ( Ausnahme der Rocker " My Brother said " , bei dem Wolbrandt wieder
tief in die Hendrix - Kiste greift ) . Auffällig ist auch der stimmige
Grundsound des Albums , jetzt wieder von Planck gemischt , bei dem das Schlagzeug
, weich komprimiert nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt und der in der
Hauptsache von Wolbrandt's vielschichtigen Delay - Gitarren geprägt wird
.
Die Live - LP "Tournee " erschien 1980 , war aber ( wiederum von Planck )
im Jahr zuvor bei Auftritten von März bis November aufgezeichnet worden
. Sie brachte neben drei Stücken von "Wiederhören " drei neue Songs
, alle instrumental , von denen sich das treibend dahinbrausende " Borgward
" zum Dauerbrenner entwickeln sollte . Die anderen beiden ( " Almrausch "
und " Peterchen's Reise " ) zeigten , dass das Konzept ruhiger , sphärischer
Stücke auch Einzug in Kraans Konzertprogramm hielt . Im Übrigen
präsentierte sich die Band konsolidiert . Bischoff ,der auf Flyday noch
mehr Statist gewesen war , spielte sich als wertvoller Solist in den Vordergrund
( als Beispiel sei sein wundervolles Doppel - Moogsolo auf " Peterchen " angeführt
) . Dahmen bewies , dass er nicht nur ein eleganter und virtuoser Drummer
war, sondern vor allen Dingen auch einem Ausnahme - Bassisten wie Hattler
durchaus gewachsen , wenn ihm auch die rhythmische Urgewalt von Fride fehlte
.
Doch hatte " Flyday " noch Hoffnungen auf kommerziellen Erfolg beim Label
genährt - die Platte verkaufte sich gerade im Westen der damaligen BRD
in den ersten Monaten sensationell gut - blieben die Verkaufszahlen von "
Tournee " weit hinter den Erwartungen zurück . Harvest liess die Band
fallen , die nun ohne feste Vertragsfirma dastand , aber als Live - Act überleben
konnte . Dahmen warf das Handtuch , doch Hattler hatte noch einen Trumpf im
Ärmel .
Er hatte sich mittlerweile auch international einen gewissen Ruf erspielt
, Kontakte bis in die USA geknüpft und bei Workshops mit Grössen
wie Billy Cobham gearbeitet . Aus diesem Umfeld konnte er den farbigen Schlagzeuger
Gerry Brown nach Deutschland holen , der u.a. bei Stanley Clarke getrommelt
hatte .
Während die " Neue Deutsche Welle " in einer Sintflut der Niveaulosigleit
über das Land hereinbrach , spielten Kraan weiter . Anfang '82 wurde
ein neues Album über einen kleineren , alternativen Vertrieb veröffentlicht
: "Nachtfahrt " zeigt die Gruppe jedoch bereits in einer Phase wachsender
Orientierungslosigkeit . Bis auf " Flyday " , hatte die Band stets als
Gemeinschaft für die Kompositionen verantwortlich gezeichnet , nun steuerten
die Einzelnen Stücke bei und dazu leicht planlos in verschiedene Richtungen
:
Wolbrandt versuchte wieder den Hendrix ( " Playing for you " ) und den harten
Groover zu geben ( " Faust 2000" und " Viel zu heiss " ) , Hattler und Bischoff
servierten Feingeistiges ( " Elfenbein " , " Nachtfahrt "), Hattler und Wolbrandt
zusammen hielten die Kraanfahne hoch ( " Wintruper Echo " und " Luna Park
") begannen aber langsam , sich selbst zu kopieren , Hattler selbst lieferte
" Paper Stars " , das klingt , als hätte man es bei den "Bassball " -
Sessions aussortiert . Bleibt noch der Track " Normal " , der verdächtig
nach dem oben erwähnten Zeit(un-)geist ( NDW ) schielt , doch muss man
den Musikern Mut und Experimentierfreude bescheinigen . Sie riskierten mit
dem Versuch , die deutsche Sprache auf zu greifen etwas für die Band
völlig Neues , Unerwartetes ( " Sarah " von der ersten Platte nicht mitgerechnet
) , und stürzten dabei nicht einmal in peinliche Untiefen , auch wenn
das eine oder andere ( s. " Faust " , " Viel zu heiss " ) dann doch unfreiwllig
komisch wirkt .
Bemerkenswert an " Nachtfahrt " ist jedoch , dass Jan Fride bei drei Stücken wieder zu hören ist . Vor allem seine Drums auf " Wintruper Echo " zeigen , wie essentiell seine Beiträge für den emotionalen Unterbau der Musik von Kraan sind , während Gerry Brown's Schlagzeug dagegen glatt und oberflächlich wirkt . Auch auf der Bühne konnte Brown nicht die Power aufbauen , die Hattler als Pendant für sein Bassspiel benötigt , auch wenn er all seine Perfektion als Instrumentalist ausspielte und das Ganze noch mit Showeinlagen ( die beliebten kreiselnden Drumsticks ) würzte . Darüber hinaus spielten Kraan live ihr gewohntes Repertoire und verzichteten weitestgehend auf die neuen Stücke . Sie hatten nach wie vor ihr Publikum , doch begann auch hier langsam das Interesse ab zu bröckeln , und so verabschiedete sich Anfang 1983 auch Wolbrandt vom unsteten Tourleben .
Hattler und Bischoff machten mit Brown weiter und holten sich zwei neue Leute ins Boot , den Gitarristen Eef Albers und einen amerikanischen Sänger und Keyboarder namens Marc Mc Millen ( wohl aus dem alten Karthago - Umfeld ) . Mit diesem Set - Up wurde im Herbst 1983 eine Mini - LP mit sechs Stücken veröffentlicht . " Kraan X " , ausgerechnet die 10 . , die Jubiläumsplatte stellt den absoluten Tiefpunkt der Kraan-geschichte dar . Welcher Teufel Ingo Bischoff , der als Produzent fungiert , bei diesem Machwerk geritten hat , wird ewig sein Geheimnis bleiben , ebenso wird es mir immer ein Rätsel sein , was Hattler bewog , den Kraannamen dafür her zu geben .
Hohle Amerikanismen und der larmoyante Gesang McMillens , der auch gut die Hälfte der Songs geschrieben hat , Hattler ist nur bei drei Stücken als Co - Autor erwähnt - bestenfalls kann man diese Musik als "Toto " für Arme einordnen . Grauenhafte , typische 80-er Sounds bei den Keyboards und sogar leichte Timig -Probleme(!), man braucht in der Tat viel Phantasie , um auch nur eine leise Spur von Kraan heraus zu ahnen , vielleicht bei " Almost Close " ( nomen est omen ) oder " You say " auf der zweiten Seite . Mit diesem musikalischen Blattschuss war Kraan am Ende , Hattler wandte sich seinen ausgedehnten Solo - Aktivitäten zu , der letzte Vorhang war gefallen und die 80er Jahre , für die "Kraan X " eigentlich ein bezeichnender , hässlicher Spiegel ist , zogen an uns allen vorbei .
So schien es zumindest , doch plötzlich , im Jahre 1987 flogen die Kraaniche
wieder .
Hattler , Wolbrandt und Fride hatten sich wieder zusammen gefunden , den Platz
von Pappert bzw. Bischoff nahm ein junger Trompeter ein , den Hellmut Hattler
in seinem Ulmer Umfeld entdeckt hatte : Joo Kraus .
Die 1987 im Quasimodo / Berlin aufgenommene und 1988 unter dem Titel "
Kraan Live 88 " veröffentlichte CD repräsentierte das Konzertprogramm
,mit dem die Band nun auch wieder unterwegs war . Natürlich waren leichte
Parallelen zum legendären Live - Album von 1975 beabsichtigt . Das Cover
war ebenfalls in Comicform gehalten , es gab auch eine Vinyl - Ausgabe als
Doppel - LP und es waren mit " Nam Nam " , "Holiday am Marterhorn " , " Jerk
of Life " und " Kraan Arabia " Kernstücke des damaligen Repertoires enthalten
.
Doch es wäre für Kraan undenkbar gewesen , nun als " Greatest -
Hits - Band " mit einem Aufguss alter Nummern durch die Lande zu ziehen ,
wie das ja nicht wenige Kollegen , die in den 70ern ihre beste Zeit gehabt
hatten , taten . Es gab genug neues Material und das alte wurde erfrischend
neu interpretiert , woran auch Krauss einen erheblichen Anteil hatte .
Er beschränkte sich nicht nur auf die " echte " Trompete , sondern gestaltete
mit einem Midi - Tonabnehmer , der es ihm erlaubte , mit seinem Instrument
externe elektronische Klangquellen wie z.B. Sampler an zu steuern ,
einen eigenen , interessanten Sound .
Die Band war unterwegs und entwickelte sich weiter , in den folgenden 3 Jahren wurden 2 Studioalben veröffentlicht , die ausschliesslich neues Material enthielten : " Dancing in the shade " ( 1989 ) und " Soul of stone " ( 1991 ) .
Einerseits gelang es den Musikern nicht mehr , dem eigentlichen Kraan - Sound
, der durch die ersten 9 Platten manifestiert war , neue , entscheidende Impulse
hinzu zu fügen , andererseits ist das neue Material , das auf den genannten
drei Alben zu hören ist , alles andere als ein schaler Aufguss des alten
.
Es gab , anders als früher , keine Gruppenkompositionen mehr , dies gab
den Einzelnen grösseren Freiraum .
Peter Wolbrandt zeigte mit Stücken wie " Favorite Land " ( Live 88 )
, " Good enough " , " Dancing in the shade" ( Dancing... ) oder dem Titelstück
von " Soul of stone " mehr in die Richtung der härteren Gesangs -
orientierten Stücke von " Wintrup " oder " Andy Nogger " . Er war als
Songwiter (und Sänger ) gereift , bemerkenswert bleibt seine Fähigkeit
mit ein , zwei Textzeilen ein ganzes Stück tragen zu können :
" We are searching , searching for love ,
dancing in the shade , dancing in the shadow of love . "
Durch die Art , wie er es singt , und wie die Gesangsmelodie in die Musik
integriert ist , mit zum musikalischen Element wird , erschliesst sich erst
die eigentliche Aussage , die über die Worte hinausgeht , in Worte nicht
zu fassen ist .
Hattler spielte in aller Ruhe seine Karten aus : Virtuoses wirkt nie bemüht
oder aufgesetzt ( " Dinner for two " " Kunststück "/ Live 88 ) oder ist
organisch in seine typischen Kompositionen , mit ihren melodischen 2-stimmigen
Themen ( s.u. ) eingefügt : " Polarity " ( Dancing.... ) oder auch das
gelungene Remake des Bassball - Titels " Wenn die Kraaniche ziehn" ( Soul
of stone ) .Gerade mit Joo Krauss zusammen , der sich immer mehr in die Band
einbrachte , gelangen ihm atmosphärisch - fliessende Stücke , die
sich in ihrer Vielschichtigkeit der Kategorisierung entziehen . Hier kündigt
sich die erfolgreiche Arbeit der beiden als " Tab Two " an . Musiziert wird
auf höchstem Niveau , aber stets mit geschmackvoller Zurückhaltung
. In kurzen Momenten lässt man aufblitzen , dass man ganze Kollegen -
Riegen locker jede Wand hinauf- und hinunterspielen könnte , nimmt sich
aber schnell zurück , um sich dem Stück unter zu ordnen . Fride
wirkt entspannter , ruhiger , was seine ungeheure rhythmische Kraft nur noch
unterstreicht , ich halte ihn nach wie vor für den besten deutschen Rockdrummer
.
Man verweist im Vorbeigehen auf alte Kraanmuster ( " Polarity " ) , Orientalismen
bleiben humorvoll - locker ( " Egyptian Cha Cha " , " Middle East Beat " /
Dancing... ) , man präsentiert eine Prise Hattlerpop ( " Parchute " /Soul
of stone ) oder riskiert ein augenzwinkerndes Experiment ( " One day " /Dancing
... ) .
Wieder ist es der junge Krauss , der nicht etwa das fehlende Saxofon zu ersetzen
versucht , sondern mit seiner ausgezeichneten Trompeten - ( und Sound - )
Arbeit neue Akzente setzt und die Band in Phasen nun doch mehr in jazzigere
Ecken schiebt ( " Banana Moon " / Dancing ) .
Live ist davon jedoch wenig zu spüren , da die alten Stücke einfach
zu gewichtig bleiben .
Doch die Hallen wurden kleiner , und mit abnehmendem Interesse der Zuhörer
verschwand Kraan dann wieder von der musikalischen Bildffläche . Die
Musiker wandten sich eigenen Projekten zu , wie Hattler / Krauss mit
" Tab Two " , ein Projekt , das weit mehr kommerziellen Erfolg zeitigen sollte
, und wir alle schlingerten durch die 90er , die in der Sprachlosigkeit des
HipHop- Gestammels verödeten .
Pünktlich zum 30- jährigen Jubiläum dann die Überraschung
:
Kraan steht wieder auf der Bühne , noch dazu in der " Wiederhören
" - Besetzung , mit Hattler , Wolbrandt , Fride und Ingo Bischoff . Selbst
die Medien steigen auf diese Reunion ein , 3 - Sat und einige Regional - TV
- Sender senden einen Konzertmitschnitt , Radiosender wie der Bayrische Rundfunk
lassen sich zu Übertragungen hinreissen . Somit wären wir also schon
beim " Geburtstagsständchen - Epilog " angelangt , doch zuvor bitte :
Die Analyse von Musik ist immer eine zweischneidige Sache , bei der man Gefahr
läuft , Dinge zu zerreden , die für sich stehen und ihre Wertigkeit
in sich tragen . Hellmut Hattler schrieb mir neulich : " Wichtig ist , dass
es gemacht wird , gelabert wird eh genug ! " , eine Aussage , die unbestreitbar
richtig ist , zumal heute , im Zeitalter der leeren Sprechblasen . Doch ist
der Ansatz dieser Betrachtungen ein sehr persönlicher , der Wunsch ,
das Werk von Musikern , die in der Geschichte der deutschen , ja europäischen
Musik wichtige Akzente gesetzt haben , auch unter musikwissenschaftlichen
Gesichtspunkten zu betrachten und somit auch zu würdigen . Wie im ersten
Kapitel angesprochen , bleiben ja Kraan und ihre Musik in der einschlägigen
Literatur fast vollständig auf der Strecke .
Es ist bezeichnend für unser Selbstverständnis als deutsche ( Rock
- ) Musiker , dass dagegen ein musikalischer Totalausfall wie "Faust " oder
die leeren Kunststoffhülsen von " Kraftwerk" als unsere wichtigen kulturellen
Beiträge in diesem Genre gefeiert werden . Das berühmte Zitat des
österreichischen Philosophen Karl Krauss ( " Der grösste Stiefel
hat den grössten Absatz !" ) möge hier als schwacher Trost angeführt
sein .
Betrachtet man die Musik von Kraan bis heute , sieht man zwei Abschnitte :
Der erste umfasst die Zeit bis zum fünften Album ( Let it out ) . Hier
wird der Stil definiert , die wichtigsten Stücke , die auch jetzt noch
den Schwerpunkt bilden , werden geschaffen . Die tragenden Elemente dabei
sind :
Die ( meist ) zweistimmig geführte Melodik , bestehend aus Basslinie und Melodiestimme ( = Hattler / Wolbrandt ) , die starke Färbung durch das Saxofon ( Pappert ) , das auch orientalische Skalen in die Improvisation einführt, das Element der Improvisation an sich , und die kurzen , erratischen Gesangseinlagen ( Wolbrandt ) , die sehr Hendrix - orientiert sind ( dies ist durchaus eher exemplarisch gemeint ) und sich als weiteres musikalisches Element organisch in das Gesamte eingliedern . Dazu kommt eine doch mehr harte , geradlinige Rhythmik , die zwar schnell und geschmeidig ist , aber immer die typische Schwere und Kraft der Rockmusik behält ( Fride ) .
Der zweite Abschnitt umfasst den Rest der Musik bis heute . Bei allen Weiterentwicklungen , die auch von den persönlichen Beiträgen der späteren Mitglieder ( Bischoff , Krauss ) leben , baut doch alles auf der geschaffenen Basis auf , entscheidend Neues geschieht nicht mehr . Es gelang jedoch , die Musik am Leben zu erhalten , ohne in plumpe Wiederholungen zu verfallen , sie immer weiter neu zu erfinden , Was nicht gelang , war , das geradezu magische Gleichgewicht der Kräfte , repräsentiert durch die starken vier Persönlichkeiten , wieder zu finden , das Kraan in einer faszinierenden Balance hielt .
Auf das Thema " Jazzrock " ist eingangs ebenfalls hingewiesen worden . Dass dieser Begriff an sich ein Unding ist , ebenso wie sein Nachfolger ( Fusion - Rock ) , ist hinlänglich bekannt . Wie sollte man derartige Industrieschablonen auch musikalisch definieren ? Einigt man sich auf das epochale Werk von Miles Davis " Bitches Brew " als ersten Fixpunkt , stellt man fest , dass die entscheidend - prägenden Bands durch ihre Köpfe aus diesem " Gebräu " entstanden sind : John McLaughlin gründet das Mahavishnu Orchestra , Joe Zawinul Weather Report , Chick Corea startet zunächst Return to Forever und Herbie Hancock die Headhunters . Vergleicht man Hörbeispiele der genannten Formationen mit der Kraanmusik , etwa auf "Wintrup " , wird einem schnell klar , dass beides ungefähr soweit voneinander entfernt ist , wie die Zugspitze vom Mond .
Die Musik , die Kraan im ersten Abschnitt ( s.o. ) ihrer Karriere als d e n typischen Kraanstil definiert haben , ist nichts anderes als Rockmusik im besten Sinne , d.h. Musik , die das Rock 'n Roll - Idiom aufgreift , um seine Grenzen zu sprengen . Aus simplen Strophe - Refrain - Schemata wird eine komplexe Form , die neue Strukturen entwickelt , das Element der ( kollektiven ) Improvisation nach vorne rückt , den Instrumentalbeiträgen mehr Raum einräumt und den Hörer zum Zuhören auffordert .
Diese Art zu musizieren zeichnet in erster Linie europäische Rockmusik ( jener Epoche ) aus :
" Niemen " aus Polen , " Omega " aus Ungarn , " PFM " aus Italien , " Gong
" und " Magma " aus Frankreich , und natürlich die britischen Bands ,
wie " Soft Machine " , " Caravan " , "East of Eden " entwickelten eine mehr
den klassischen Wurzeln ihrer Mitglieder verwandte Musikform , die sich deutlich
vom leicht konsumierbaren Singsang iher US - Kollegen unterschied . Und alle
oben genannten Bands ( und noch mehr ) fanden sich schnell in der gleichen
, falschen Schublade des " Jazzrock " wie Kraan , obwohl jede ihren ureigenen
, völlig verschiedenen Stil darstellt .
Auch die zwei grossen englischen Bands " Genesis" ( in ihren Anfängen
) und Pink Floyd in der Phase um "UmmaGumma" gehören hierher , auch wenn
beide sich später unter das Joch der kommerziellen Kompatibilität
unterordneten .
Kraan sind d i e Deutschen in dieser Riege und ihre Musik ist für mich die deutscheste Rockmusik , die ich kenne . Sie ist so deutsch wie die dunklen Hänge des Schwarzwalds oder die gelblich begrünten Autobahnen , die durch das Ruhrgebiet ziehen . Stets schwingt darin ein sommerlicher Schwermut , eine resignative Ernsthaftigkeit und Innigkeit mit , die auch schon einen Romantiker wie Robert Schumann von seinen eleganten Zeitgenossen wie Chopin oder Liszt unterscheidet . Dieser deutsche Schwermut wird auch in der Spätromantik einem Johannes Brahms attestiert , mit Einschränkungen einem Max Reger , es ist etwas , das wir deutschen Musiker , sicher bedingt durch unsere Ausbildung , vielfach verinnerlicht haben , aber wahrscheinlich sind dies Prägungen , die bis in die Genetik hineinreichen .
Das musikalische Mittel der instrumental geführten Melodie hat hierbei das grösste Gewicht , und es sind vor allem diese Melodien , die die Musik von Kraan ausmachen .
Betrachtet man sie näher , fallen bestimmte Merkmale deutlich auf :
a ) meist zweistimmige Führung in Ober - und Bassstimme
b ) Verzicht auf herkömmliche Funktionsharmonik , vor allem auf die Dominante ,bevorzugt werden dorische, äolische und mixolydische Skalen , die sog . Bluestonleiter ist auch eher selten
zu a :
Sicherlich spontan aus dem Musizieren heraus hat sich diese Zweistimmigkeit entwickelt , Hattler setzt seinen melodischen , durch das Plektrumspiel auch klar zu hörenden Bass gegen Wolbrandts Gitarre und / oder das Saxofon . Dabei sind die meisten Themen durch eine fast schulbuchmässig - strenge Kontrapunktik ( Gegen - bewegung ) geprägt .
Beispiel " Luftpost " ( Let it out ) :
( N.B. : Bei allen Notenbeispielen ist der Bass unrythmisch in langen Notenwerten dargestellt . Durch die Rhythmisierung ergibt sich eine weitere , rhythmische Kontrapunktik . )
Beispiel " NamNam " ( Andy Nogger ) :
Beispiel " Picnic International " ( Let it out ) :
Eines der schönsten Beispiele ( aus der späten Phase ) ist " Polarity " ( Dancing in the shade ) :
Polarity ist eine Solokomposition Hattler's . Es drängt sich der Eindruck
auf dass Hattler in der Hauptsache für die Instrumentalthemen der Band
verantwortlich zeichnet , da die meisten die gleiche Handschrift kennzeichnet
.
Zu b ) und c ) :
Auffällig sind bei dem Thema von " Sarah 's Ritt " :
ebenso wie bei " Holiday am Marterhorn " :
die sprunghafte Entwicklung aus der Molltonalität hinaus , wobei die
Quarten als Stufen benutzt werden .
Diese Art freier , aber konsonanter Tonalität finden wir bei deutschen
Komponisten wie Genzmer , Hindemith (in seiner zweiten Phase ) oder Hans Poser
, vor allem in kleineren Kammermusikwerken .
Betrachten wir zum Vergleich ein Thema aus der Sonatine für Violine und Klavier ( 1959 ) von Harald Genzmer:
Mögen Analogien zufällig sein oder nicht , ich sehe ( höre ) sie auf jeden Fall . Ich glaube mich zu erinnern , dass mir Hattler einmal erzählte , er habe in der Schule mit der Violine begonnen ....
Viele Themen von Kraan stellen auffällig die Quarten in den Vordergrund ( s. a. o. ).
Das erste Thema von " Heimweh nach Übersee " lebt von dem Spannungsfeld der Quarten cis - fis und a- d :
Das Thema von " Peterchen's Reise " ( Tournee ) besteht fast völlig aus Quarten :
Auch hier könnte man wieder mutmassen , dass Zufälligkeiten der
Auslöser sind , ist doch die Bassgitarre in Quarten gestimmt ! Doch muss
man auch sehen , dass dieses Intervall gerade auch in der europäischen
Klassik des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt ( s. a. Debussy ) , da es
in sich als leer empfunden wird und harmonisch viel weniger Richtungen weist
wie etwa Terz und Sexte , selbst sein Spiegelbild ,die Quinte weist ja anders
als die Quarte viel eindeutiger auf den Grundton hin .
Was in der Harmonik der Kraanmusik so gut wie völlig fehlt ist die Funktion der Dominante und ihrer Erweiterungen , die die Harmonielehre des Jazz prägen . Eine Rückführung zum Grundton über einen Dominant-
Septakkord oder verminderten Septnonakkord , die ja verwendet werden , um die Dominantwirkung zu unterstreichen , wird man in ihrer Musik vergebens suchen . Es ist geradezu undenkbar , dass Kraan einen Blues spielen würden ,der von ebendieser Funktionalität lebt und die Basis des Jazz darstellt .
Typisch für ihre Stücke sind das Ausnutzen der Terzverwandschaft , also z.B. eine Fortschreitung von A als tonalem Zentrum über F und G zurück nach A , und eben nicht über die Subdominante D und die Dominante E , wobei sich oft Dur ( mixolydisch ) und Moll ( dorisch / äolisch ) die Waage halten .
Ein schönes Beispiel ist sicher das Hauptthema von Yaqui Yagua ( Wiederhören ) :
Beginnend von a- Moll aus wird über B - Dur , F - Dur und G- Dur schliesslich
A - Dur erreicht , wobei nach dem zweiten Durchlauf nach einer weiteren Modulation
fis - Moll erreicht wird .
Diese Art der Harmonik entwickelt sich bei Kraan in den ersten drei Alben . Am Anfang ( Kraan / Wintrup ) bedient man sich noch bei den Motiven , die seit jeher den Hard/ Heavy - Rock kennzeichnen :
Das typische , oft unmotiviert wirkende , chromatische Rücken von Grundlinien , das im Gegensatz zu unseren als " normal " empfundenen Akkordverbindungen steht ( s. " Silver Wings " / Wintrup ) . Solche Linien spielen zur selben Zeit auch Black Sabbath , um ein drastisches Beispiel zu wählen , nur haben Bands dieser Couleur sich bis heute damit begnügt , ohne sich weiter zu entwickeln .
Doch sind es eben diese Wurzeln , die neben den oben genannten klassischen Einflüssen , die Basis der Musik von Kraan bilden , genauso wie man bei genauem Hinsehen feststellt , dass eines ihrer " Markenzeichen " , nämlich dieser treibende , rasende Bass Hattlers , mit dem Plektrum gespielt , ja nicht unbedingt dessen Erfindung ist . Die prominentesten Bassisten , die diesen Stil schon vor ihm einführten sind John Entwhistle von den Who ( ! ) und Roger Waters von Pink Floyd ( vgl . auch das berühmte Intro zu " One of these days " auf "Meddle ! ) . Hattler griff diese Stilistik auf und entwickelte daraus seine eigene , unnachahmliche Spielweise und Musik , und dasselbe kann man von Kraan als Rock - Band in Deutschland sagen .
8. Mai 2002
Es ist ein wunderbarer Frühlingsabend , und während wir über die kleinen Landstrassen nach Schönsee fahren , wird mir bewusst , wie lange ich schon nicht mehr hier war . Schön ist es hier ! Die Beton - Gigantomanie unserer Tage hat sich zwar schon selbst bis in die kleinen Dörfchen durch gefressen , aber die dunklen Ecken , in denen man schon die ersten Ausläufer des wilden Bayerischen Waldes spüren kann , trotzen immer noch dem Gespenst der Globalisierung .
Hier hatte ich Kraan zum ersten Mal gesehen ( s . S . 2 ) , lang war das her , wohl 72 , danach noch so oft , aber hier , im damaligen " Red Egg " , war es etwas ganz besonderes gewesen . Der kleine Laden , die Band am Anfang ihrer Entwicklung .....
Das Red Egg gibt es nicht mehr . Hans Eibauer hat ein grösseres Nebengebäude
zum " Kulturtreff " umgebaut , das sich nun Dietersberger Scheune nennt -
er selbst ist zum CSU - Bürgermeister mutiert .
Doch die Apfelbäume stehen immer noch da , idyllisch schmiegt sich das
Anwesen nach wie vor in den sanften Hang hinein - und wie damals parken eine
Menge Autos auf der grossen Wiese .
Sogar der BR ist mit einem Übertragungswagen da , um das Konzert auf
zu zeichnen . Drinnen gelöste Stimmung , eine Mischung aus Zeitreise
, Veteranentreffen und Freak- Event .
Die Bühne klein , als hätte man versucht , die Platzverhältnisse
von damals zu reproduzieren . Sie fangen ganz einfach an , Hattler hat erst
noch ein paar selbstironische Begrüssungsscherze losgelassen und Eibauer
, den Bürgermeister , freundschaftlich angepflaumt : Let it out .
Sie spielen das Repertoire , das auch auf der neuen Live CD zu hören
ist - ein bunter Querschnitt , natürlich mit "Holiday " , " Nam Nam "
, " Andy Nogger " usw. Und doch ist es keine dieser peinlichen Greatest-Hits
- Revuen .
Sie spielen es bei aller Lockerheit und Distanz mit einem grossen Gefühl
, das tiefe Ernsthaftigkeit und ehrlichste Spielfreude kombiniert .
Ich sehe in die Gesichter im Publikum . Manch eines vermeine ich wieder zu
erkennen von damals , vielleicht Einbildung , auch Jüngere sind zu sehen
, haben da ein paar ihre Kinder mitgebracht ?
Die Band hat nur eine kleine , aber gute Anlage dabei , kleiner , als ich
es von meiner eigenen Gruppe gewöhnt bin , und in der Tat spielen sie
mit zunehmender Dauer und Intensität die Verstärker an den Rand
der Leistungsfähigkeit .
Überall leuchtende Augen - ich schaue zu meinem Sohn hinüber , er
ist 18 und spielt in meiner Band Gitarre .
Als er zum ersten Mal das Kraan - Live - Album hörte , hatte er es kaum
fassen können , dass es je in Deutschland eine derart gute Band gegeben
hatte . Mit riesiger Begeisterung hatte er sich dann durch meine Kraan - Platten
durch gehört . Jetzt sehe ich in seinem Gesicht eine Mischung aus Faszination
und Zweifel . Was treibt Menschen wie diese vier auf der Bühne dort dazu
, heute noch in solch einem kleinen Laden auf zu treten ? Das Geld kann es
ja nun wirklich nicht sein .... Es ist sicherlich schwer ein zu ordnen für
einen jungen Menschen dieser Generation , die Erfolg gemeinhin in Euro und
Cent misst .
Ich stehe direkt an der Bühnenseite , nur zwei , drei Meter von Hattler
entfernt . Alt ist er geworden , fährt es mir durch den Kopf - und das
sage ich nicht nur mit allem gebotenen Respekt ( denn alt geworden bin ich
auch ) ,
sondern vor allem eingedenk der Tatsache , dass ein guter Musiker nicht älter
, sondern nur besser wird .
Leicht gebeugt über seinen Bass steht er da , nicht mehr ganz der lange
, dürre Kraanich von früher . Ich sehe ihm zu , wie er bei " Silky
Way " diese ruhigen , langen Töne setzt , lauschend , hineinhorchend
in den Klang der Band , jeden Ton in das Gesamte einpassend wie ein gehobeltes
und geschliffenes Stück Holz , jeder Ton eine Aussage der eigenen Menschlichkeit
.
Mit der Zeit kommen sie alle ins Schwitzen , nur einer nicht :
Jan Fride hat offensichtlich mehr inneren Frieden gefunden . Die leeren Augen
von früher sind einem leisen Lächeln gewichen , das von Ruhe spricht
. Er sitzt hinter seinen Drums und spielt mit der besagten donnernden Power
, die zwei Schlagzeugern zur Ehre gereichen würde , völlig ohne
Kraftaufwand , alles aus dem Handgelenk - nach dem Gig steht er entspannt
auf , als hätte er gerade zwei Stunden Zeitung gelesen .
Zwischendurch gehe ich nach draussen , vorbei an dem Bodyguard des CSU -
Bürgermeisters , der die Kasse bewacht und mich misstrauisch beäugt
: Was will der Typ mit den langen weissen Haaren denn jetzt im Hof ?
Aber ich will nur ein wenig die angenehm kühle Luft des Frühlingsabends
atmen , hier beim Parkplatz zwischen den Apfelbäumen . Die Musik ist
gut zu hören , die Melodien , die mich viele Jahre begleitet haben ,
wehen in die Nacht .
Dann gehe ich wieder hinein , um mit den anderen zu feiern .
Ich freue mich auf ein " Wiederhören " zum 40ten Bandjubiläum . Vollgas ahoi !
C ) 2002 by Reinhard Mährländer
Alle Rechte vorbehalten - all rights reserved
About Reinhard Mährländer:
I'm a german musician and music-teacher.
Born 8.8.1956, instruments: guitar, piano, violin, synths
I live in Erbendorf,North-east Bavaria.
I played rock in the 70s 80s- that's when I met Hellmut Hattler once, even
played with him(but at that time I wasn' t good enough to make it into his
bassball-band...:-) ).
After having interrupted my "career" in the 90s for personal reasons,
I took up playing again in 2000.
Since then I have produced several albums with solo-works and with the bands
PSYCHEDELIC UNDERGROUND and HUNTERSMOON (http://www.myspace.com/huntersmoonrock
), which is the band I'm in now together with my son Sebastian Mährländer
( actually it's his band ).
Together with Sebastian I've met Hattler once again in 2002, which was rather
nice.